Es ist endlich soweit, der Aufruf ist zumindest auf deutsch nun fertig!
Wir sind grad dabei ihn in mehrere Sprachen zu übersetzen, die wir im Laufe der Zeit dann auch hier hochladen werden bzw unter „Aufruf“.
Auch wird es noch ein ausführlicheres Glossar geben. Dies hat leider nicht mehr auf den Flyer gepasst, der nun auch zusammen mit Aufklebern und Plakaten in Druck ist!
TBTN 2015 – queerfeministische Take Back The Night Demonstration
Inhaltshinweis: Der folgende Text befasst sich mit sexualisierter Gewalt
Die Primärsprache des Textes ist deutsch. Der Fließtext wird immer wieder zur Erklärung einiger Wörter unterbrochen.
In Hamburg ist vom 8. – 10. Mai 2015 ein Seminar mit Julien Blanc, einem Coach der US-amerikanischen Firma „Real Social Dynamics“ (RSD), geplant. Julien Blanc ist einer der Pioniere und selbsternannter Guru der weltweiten so genannten Pick Up Artist-Szene. In den Seminaren soll den überwiegend männlichen Teilnehmenden beigebracht werden, wie sie Frauen* (in der Pick Up-Szene als „Hot Babes“ bezeichnet) mit gezielten Manipulationsversuchen aufreißen und so schnell wie möglich zu Sex bewegen können. Dabei wird zu Demütigung von Frauen* und zu Gewalt aufgerufen.
Erklärung Frauen* / Männer*
Menschen werden in eine von genau zwei willkürlichen Geschlechter-Kategorien eingeordnet. Diese Kategorien betrachten wir nicht als etwas Natürliches sondern als Konstruktionen, die Menschen unterschiedlich große Handlungsspielräume zuweisen. Mit dem Sternchen bei Frau* und Mann* wollen wir diese Konstruktion sowie Menschen, die sich zwischen oder jenseits von männlich* und weiblich* verorten, sichtbar machen.
Hinter Pick Up steht eine große Szene, die sich einer pseudowissenschaftlichen Methode bedient. Diese Methode folgt einer festgelegten Abfolge. Zunächst wird die Attraktivität einer Frau* von den Pick Up Artists (PUA) auf einer Skala von 1-10 eingestuft. Danach werden Methoden wie das „Push and Pull“ angewendet, bei der sich totale Nähe und Rückzug abwechseln. Sie sollen Frauen* dazu bringen, ihren eigenen Gefühlen nicht mehr zu vertrauen, was sie in eine zunehmend schwächere und abhängige Position drängen soll. Seminare und Bücher zum Thema beziehen sich auf Elemente aus der „neurolinguistischen Programmierung“. Diese verspricht die Steuerung des Gegenübers durch das Einsetzen von Sprache und Körpersprache. Bekannt wurden diese Manipulationstechniken durch das 2005 erschienene Buch „The Game“ von Neil Strauss.
PUA sind weltweit über soziale Netzwerke organisiert. Es gibt zahlreiche Pick Up-Seiten, das deutschsprachige Pick Up-Forum hat beispielsweise mehr als 100.000 Mitglieder. In den Foren wird sich über „Erfolge“ und Techniken ausgetauscht. PUA sehen Frauen* als Trophäen und Objekte, im Vordergrund steht das Streben nach Dominanz und Überlegenheit; Eigenschaften, die gesellschaftlich mit Männlichkeit verbunden werden. Die Manipulationsversuche der PUA sind psychische Gewalt, wobei die Grenze zu körperlicher Gewalt zum Teil überschritten wird.
Die zutiefst (hetero-)sexistische Pick Up-Szene ist die Konsequenz einer patriarchalen Gesellschaft, die Frauen* zu Objekten degradiert. PUA sind nur die Spitze des Eisbergs einer allgegenwärtigen Rape Culture.
Erklärung Hetero-Sexismus
Obwohl es unzählige Formen von Beziehungen, Begehren und Liebe gibt, gilt: 1 cis-Mann* + 1 cis-Frau* = Liebe = normal. Das heißt, alle hiervon abweichenden Formen werden unsichtbar gemacht, sanktioniert und diskriminiert.
Wir möchten an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck bringen, dass uns bewusst ist, dass unsere Ausführungen sich hier überwiegend auf Sexismus beziehen und wir damit viele Herrschaftsverhältnisse ausblenden, die jedoch auch Bestandteile einer Rape Culture sind.
Was ist eigentlich Rape Culture?
Rape Culture bezeichnet gesellschaftliche Verhältnisse durch die sexualisierte Gewalt ermöglicht, normalisiert und gefördert wird. Sie ist im Alltag fest verankert und beeinflusst so unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Grundlage für Rape Culture ist die Aufteilung in genau zwei Geschlechter und zwar in: vermeintlich starke, aktive cis-Männer* und angeblich schwache, passive cis-Frauen*, die sich ausschließlich gegenseitig begehren. Die Verstrickung und Auswirkungen von Rape Culture im Alltag lässt sich durch fünf miteinander verwobene Aspekte verdeutlichen.
Erklärung Sexualisierte Gewalt
Sexualisierte Gewalt bezeichnet alle Handlungen, die gegen den Willen einer anderen Person ausgeführt werden, und Sexualität als Mittel zum Zweck nutzt. Ziel von sexualisierter Gewalt ist Unterdrückung, Kontrolle und Demonstration oder Erhalt von Macht.
Erklärung cis-Männer*/cis-Frauen*
Du bist cis, wenn du dich mit dem Geschlecht identifizieren kannst, das dir bei deiner Geburt zugeordnet wurde. Du bist auch dann cis, wenn du noch nie gezwungen warst, dich mit deiner Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen, weil jemand anderes dich anders eingeordnet hast als du es tust. Wir benutzen den cis-Begriff, um die sonst unbenannte Norm sichtbar zu machen.
Sexualisierte Gewalt ist alltäglich! Nach der offiziellen Dunkelfeldstudie des Bundes hat jede 7. cis-Frau* seit ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal sexualisierte Gewalt erlebt. Trans* und Inter*Personen werden in dieser Studie nicht einmal beachtet – und somit unsichtbar gemacht. Es sind also sehr viele Menschen unmittelbar betroffen. Und trotzdem wird sexualisierte Gewalt verhandelt, als fände sie niemals in unserem Umfeld statt. Die Alltäglichkeit sexualisierter Gewalt wird gezielt verleugnet (zum Beispiel durch das Rechtssystem). Öffentlich thematisiert werden nur Einzelfälle und wenn es die unbekannten ‘Anderen’ betrifft.
Erklärung Trans* und Inter*
Du bist Trans*, wenn du dich nicht mit dem Geschlecht identifizieren kannst, das dir bei deiner Geburt zugeordnet wurde. Du bist Inter*, wenn dein Körper nicht den festgelegten (medizinischen) Merkmalen von Geschlecht entspricht. Beide Begriffe werden auch als ermächtigende Selbstbezeichnungen gebraucht.
Sexualisierte Gewalt als Mythos. In einer Rape Culture existiert ein sehr genaues Bild davon wer, wann, wie gegenüber wem sexualisierte Gewalt ausüben kann. Dem rassistischen und verzerrten Mythos zufolge „springt ein dunkler, starker cis-Mann* aus dem Busch und ein junges, schlankes, weißes cis-Mädchen* an“. Diese Mystifizierung führt unter anderem dazu, dass sexualisierte Gewalt gegen Trans*- und Inter*Personen oder nicht able-bodied Menschen unsichtbar gemacht wird, da diese nicht den (hetero-)sexistischen Vorstellungen entsprechen. Weicht die erlebte Gewalt von dem Mythos ab, wird einer_einem das Erlebte abgesprochen. Gegensätzlich zum vermittelten Bild findet sexualisierte Gewalt zu 75% im direkten Umfeld statt, oft in der eigenen Wohnung. Die Betroffenen kennen in der Regel den_die Täter_in. Letztere nutzen das Mittel der sexualisierten Gewalt, um Macht auszuüben. Sexualisierte Gewalt findet in allen gesellschaftlichen Milieus satt.
Erklärung Able-bodied
Die Begriffe able-bodied und nicht able-bodied beziehen sich auf eine gesellschaftliche Vorstellung von einem gesunden, idealen Körper. Wenn du able-bodied bist, musst du dir keine Sorgen darüber machen, aufgrund deiner körperlichen Verfasstheit diskriminiert zu werden. Wir benutzen diesen Begriff, um die sonst unbenannte Norm eines „gesunden und idealen Körpers“ in Abgrenzung zu einem nicht idealen sichtbar zu machen.
Victim Blaming bezeichnet die Verschiebung der Schuld von dem_der Täter_in zu den Betroffenen. Vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt wird den potenziell Betroffenen zugeschoben. Das führt zu massiven Bewegungs- und Freiheitseinschränkungen: Nachts nicht alleine unterwegs sein, nur bestimmte Kleidung anziehen, nicht zu viel Alkohol trinken. Werden diese Dinge nicht beachtet, seien Betroffene am Übergriff selbst schuld. Von den Betroffenen wird eine bestimmte Reaktion auf den sexualisierten Übergriff erwartet. So wird einer Person, die schluchzend vorträgt, was passiert ist, eher eine Betroffenheit zugestanden als einer Person, die sachlich und distanziert berichtet. Auch der Vorwurf der Falschbeschuldigung gehört zu Victim Blaming. Entgegen jeder Statistik wird Betroffenen dieser Vorwurf gemacht und der_die Täter_in von seiner_ihrer Schuld freigesprochen. Je mehr die sexualisierte Gewalt vom gesellschaftlichen Mythos abrückt, desto mehr kann sich Victim Blaming verstärken.
Sexualität wird mit Gewalt gleichgesetzt! Es gibt viele Ausdrücke, die durch sexualisierte Sprache gewaltvolle Handlungen beschreiben sollen. Beim Beispiel „Fuck Nazis“ können wir uns alle vorstellen, was damit gemeint ist. Durch einen solchen Sprachgebrauch wird Sex zu einer Praktik, bei der grundsätzlich eine Person demütigt und die andere Person unfreiwillig gedemütigt wird, anstelle von etwas, bei dem alle Beteiligten zustimmen und es als etwas Schönes empfinden.
Sexualität ist an bestimmte Vorstellungen geknüpft! Bis heute sind die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen* und Männer* beim Sex größtenteils unverändert geblieben. Männern* wird nach wie vor der überwiegend dominante Part, und Frauen* der passive Part zugewiesen. Weibliche* Sexualität soll ausschließlich der Lust und sexuellen Befriedigung des Mannes* dienen; andere Formen von Sexualität darf es nicht geben. Frauen* müssen Männern* in dieser Vorstellung permanent für Sex zur Verfügung stehen. Sie werden damit sexualisiert und zu Objekten gemacht. Dies legitimiert sexualisierte Gewalt.
Rape Culture sichert gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsstrukturen. Um Rape Culture etwas entgegen zu setzen, brauchen wir eine grundlegende und revolutionäre Veränderung der Gesellschaft. Gegen Rape Culture zu kämpfen heißt für ein selbstbestimmtes Leben zu kämpfen!
Die Kampagne „Pick Up Feminism – Take Down RSD“ wurde ins Leben gerufen, um der Rape Culture auf verschiedenen Ebenen den Kampf anzusagen: Mit All-Gender-Informations-veranstaltungen; mit direkten Aktionen gegen das geplante Seminar von Julien Blanc in Hamburg; und mit einer Demonstration am Vorabend des 1. Mai. Dazu laden wir, ein queer_feministisches Bündnis aus unterschiedlichen politischen Zusammenhängen, alle FrauenLesbenTransInter* und alle, die sich nicht als cis-Männer* definieren, ganz herzlich ein!
Mit dieser Demo knüpfen wir an zwei feministische Traditionen an: Die Nacht des 30.4. als „Walpurgisnacht“ und die Take Back The Night-Demos, die seit den 1970ern an vielen Orten der Welt gegen (hetero-)sexistische Normalzustände und sexualisierte Gewalt stattfinden. Beides sind Bestandteile einer feministischen Geschichte, auf die wir Bezug nehmen wollen, auch wenn wir sie z.T. nicht unproblematisch finden. Auf den Take Back The Night -Demos der letzten Jahre (z.B. in Oldenburg, Bremen, Hannover und Hamburg) sind magische Momente entstanden – ein Gefühl von „Genau hier genau richtig“-Sein. Momente des Empowerments und der Solidarität, die Kraft geben, auch im Alltag, in dem wir so oft mit so einer Scheiße konfrontiert sind, kämpferisch zu bleiben.
Am 30.4. wollen wir uns in den Hamburger „Partyvierteln“ Schanze und Kiez symbolisch und praktisch die Nacht zurück erobern – die nächtlichen Straßen, die durch die beschriebenen Mythen und durch Übergriffe für Trans*- und Inter*Personen, Frauen* und Lesben* zu einem oftmals beschissenen Ort werden. Wir werden ohne cis-Männer* demonstrieren, um auf die Privilegien aufmerksam zu machen, mit denen die Kategorie cis-Mann* verbunden ist (auch wenn uns klar ist, dass nicht alle cis-Männer* die gleichen Privilegien haben).
Lasst uns die Nacht zurück erobern und uns den Raum nehmen, der sonst so oft von cis-Männern* dominiert wird. Lasst uns diesen Abend gestalten, wie wir Lust drauf haben! Wir wollen sichtbar und laut werden – wir wollen Platz haben, für vielfältige Identitäten, mit all unseren Eigenschaften, Fähigkeiten und Bedürfnissen. Gemeinsam und solidarisch erobern wir uns die Nacht zurück – LET’S TAKE BACK THE NIGHT!
Daten und Informationen zur
„Pick Up Feminism – Take down RSD“-Kampagne
Informationsveranstaltung „Was ist Rape Culture?“ am Freitag, 20. März 2015 um 19Uhr
im Centro Soziale, HH-Sternstr. 2
Informationsveranstaltung „Was ist Pick Up?“ am Freitag, 17. April 2015 um 19Uhr im Centro Soziale, HH-Sternstr. 2
Queerfeministische Take Back The Night Demonstration in Hamburg am Donnerstag, 30. April 2015. Treffen um 19Uhr in der Roten Flora, HH-Achidi-John-Platz 1
All-Gender Aktionen am Donnerstag, 07. Mai 2015 in Hamburg gegen RSD. Achtet auf weitere Ankündigungen.
Weitere Informationen findet Ihr im Internet zu Kampagne auf der Facebook-Seite https://www.facebook.com/PickUpFeminism und zur Demonstration auf dem Blog https://tbtn2015.blackblogs.org. Wenn Ihr uns schreiben wollt Bitte an die Mail-Adresse tbtn2015@riseup.net.